Pfr. i.R. Richter Sehr viele Menschen unserer Tage leiden an einer nicht ungefährlichen Krankheit. Jemand hat sie einmal “angina temporis“ genannt, das bedeutet soviel wie „Zeitverengung“. Im Allgemeinen spricht man einfach von einer hektischen Lebensweise. Wir sind gejagte, abgeschaffte, oft auch abgestumpfte Leute. Unsere Sinne sind überreizt, unsere Kräfte sind überfordert, unsere Herzen leergefegt oder festgetrampelt. Darum können wir z.B. nur noch ganz schwer hören, hinhören auf andere – auf Gott! Uns beeindruckt selten etwas, und wenn schon, dann hält es nicht lange nach. Über dem allen verlieren wir mit der Zeit die Orientierung für unser Leben. Es wird ziellos, planlos und mit der Zeit sinnlos. Und das ist schade, denn Leben ist einmalig und schon deshalb grundsätzlich kostbar. Aber wie kann dieser Zustand verändert werden?

Man müsste einmal zum Nachdenken kommen können, und zwar so, dass man damit nicht einfach sich selber überlassen  bleibt, sondern in einer qualifizierten Gemeinschaft eine neue Schau für sich und andere, für Gott und die Welt bekommt.

Genau solche qualifizierte Gemeinschaft ist es, was wir unter dem Stichwort „Oase“ anzubieten und erfahrbar zu machen versuchen. Worum geht es dabei?

„Oasen des gemeinsamen Lebens“, wie der volle Titel heißt, sind Einkehrtage, die uns miteinander in die Nähe Gottes führen sollen. Es sind also keine Urlaubstage, in denen man sich auf verschiedene Weise die Zeit vertreibt und tut oder lässt, was einem gerade in den Sinn kommt. Das ist sicher auch ganz schön. Aber wer das sucht, muss anderswo-hin gehen. Wer dagegen zu einer Oase  kommt, muss bereit sein zu einer gewissen Disziplin, ohne die Gemeinschaft nicht wohltuend erfahrbar ist. Im Bereich der katho-lischen Kirche spricht man diesbezüglich von „Exerzitien“. Das klingt natürlich sehr abschreckend. Man denkt ans Exerzieren und – wendet sich mit Grausen. Und dennoch: Wer sich von vorn herein auf qualifizierte Gemeinschaft einstellt, der wird mehr davon haben, als er sich vorher ausrechnen kann.

Praktisch sieht das bei einer Oase folgendermaßen aus:

Am Anfang eines Oasentages  steht nicht das Frühstück, sondern der Gottesdienst mit dem heiligen Abendmahl. Beginn: 7.30 Uhr. Da feiern wir mit allen uns zugänglichen Mitteln und in liturgischen Traditionen aus Jahrhunderten die Heilige Eucharistie, jenes einmalige, vollkommene, vollgenugsame und vollgültige  Opfer unseres Herrn Jesus Christus. Der Tag beginnt also gleich mit einem Höhepunkt! Das ist in der Form für die meisten zwar zuerst etwas völlig Ungewohntes und Neues. Aber erstaunlich schnell finden sie zum Kern der Sache: Zur Freude an Gott. Wir feiern ein Fest! Und dazu ist natürlich die gastgebende Gemeinde und jeder, den es interessiert, immer mit eingeladen.

Das Frühstück in kleinen Gruppen, so genannten Oasenfamilien, findet in verschiedenen gemütlichen Wohnstuben gastgebender Gemeindeglieder statt und wird eigentlich als eine geradlinige Fortsetzung des Gottesdienstes verstanden: Das Fest geht weiter! Wir nehmen uns nämlich Zeit dazu und geben dieser Mahlzeit genau so ein festliches Format wie dem Feiern in der  Kirche. Wir nehmen uns Zeit zum Essen und auch zum Gespräch rund um den Tisch. Wir sind ja nicht auf der Flucht, sondern in einer Oase. Das tut wohl. Und im Übrigen tun wir vom Einkaufen über das Tischdecken, Zubereiten und hinterher Abwaschen alles selber und gemeinsam.

Der Rest des Vormittages gehört dem gezielten Austausch über das jeweilige Tagesthema, das während des Frühgottesdienstes in einer Kurzpredigt aufgezeigt worden war. Bibel und Schreibzeug, Arbeitsblätter und Gesprächsleitung, Fragen und gemeinsam gesuchte Antworten, Stille, Betrachtung und Gebet – das alles soll persönliche Orientierungshilfe bringen und zu Klärungen führen. Es gibt darüber hinaus genügend Möglichkeiten für Einzelgespräche.

Das Mittagessen nehmen wir mit den anderen Oasenfamilien gemeinsam ein, wie überhaupt der restliche Tag zumeist in der größeren Gruppe der Oasengemeinschaft, manchmal auch zusammen mit der gastgebenden Gemeinde, gestaltet wird. Spielen, Vorträge, Wandern, Arbeitseinsatz, Singen, ein Kreuzweg und immer neue Formen der Feier kennzeichnen das gemeinsame Leben in der Oase. Natürlich gibt es auch Pausen. Aber wichtig bleibt, dass jeder sich in die Oasengemeinschaft immer neu einbringt.

„Qualifizierte Gemeinschaft“ – das klingt anspruchsvoll! Aber es wird während einer solchen Oase auf ganz verschiedene Weise erfahrbar. So ist es zumindest bisher immer gewesen. Wir machen das schließlich schon über 30 Jahre.

Und die Kinder? Für Familien mit Kindern gibt es spezielle Angebote: Oasen mit einem speziellen Kinderprogramm oder Oasen, die ganz speziell auf „Familie“ ausgerichtet sind

Persönliche Neuorientierung und modellhaft gelebte Gemeinde machen am Ende Mut, in der Heimatgemeinde oder eben dort, wo wir normalerweise leben und arbeiten, etwas von dem Erfahrenen weiterzuführen.           Auch andere brauchen Oasen ...

Pfarrer Christoph Richter begründete die evangelisch-lutherischen Oasenarbeit und führte im Sommer 1981 eine erste Modell-Oase in Albernau im Erzgebirge durch. In den folgenden Jahren hatten die an vielen Orten durchgeführten Sommeroasen einen großen Zulauf.