Michael Ahner, Vorstandmitglieder Oasenarbeit, hielt am Himmelfahrtstag 2015 folgende Predigt über Johannes 17,20-26 in Chemnitz. Wir dokumentieren seine Predigt hier zum Nachlesen, weil sie die Frage nach der Einheit der Kirche thematisiert, die die sächsische Landeskirche in den letzten Jahren stark bewegt hat.  

"Jesus Christus spricht: Ich bitte aber nicht allein für sie, sondern auch für die, die durch ihr Wort an mich glauben werden, damit sie alle eins seien. Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir, so sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaube, dass du mich gesandt hast. Und ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast, damit sie eins seien, wie wir eins sind, ich in ihnen und du in mir, damit sie vollkommen eins seien und die Welt erkenne, dass du mich gesandt hast und sie liebst, wie du mich liebst. Vater, ich will, dass, wo ich bin, auch die bei mir seien, die du mir gegeben hast, damit sie meine Herrlichkeit sehen, die du mir gegeben hast; denn du hast mich geliebt, ehe der Grund der Welt gelegt war. Gerechter Vater, die Welt kennt dich nicht; ich aber kenne dich und diese haben erkannt, dass du mich gesandt hast. Und ich habe ihnen deinen Namen kundgetan und werde ihn kundtun, damit die Liebe, mit der du mich liebst, in ihnen sei und ich in ihnen." (Johannes 17,20-26)

Liebe Gemeinde,

Wieder wurden die Jünger überrascht. Sie sind es von Jesus schon gewohnt. Er hat immer eine Überraschung parat. Sei es auf dem Meer, wenn er Wind und Wellen Einhalt gebietet und das Meer plötzlich ruhig wird. Sei es zu Ostern. Jesus ist nicht tot. Er lebt! Er ist auferstanden! Er lebt wieder mit den Jüngern.

Aber nun das! Wieder ist Jesus weg. Gerade haben sie ihn mit eigenen Augen gesehen. Nun ist er weg. Im Himmel. Zurück bei seinem Vater. Jetzt kommt er nicht mehr wieder. Sie sind auf sich allein gestellt. Jesus traut seinen Jüngern so einiges zu. Klar, sie haben vieles miteinander erlebt. Und wer sagt jetzt, wo es langgeht? Wer ist unser Anführer? Was machen wir jetzt? Das hätte die Jünger auseinandertreiben können. Gestritten haben sie sich ja schließlich genug miteinander. Wer der Größte unter ihnen sei, wollten sie von Jesus wissen. Wer ist denn besser, größer, klüger? Aber jetzt streiten sie nicht.

Sie beten Jesus an. Sie geben ihm die Ehre. Ihre Augen schauen nach oben. Sie sehen ihn nicht mehr. Aber das hatte er ja angekündigt. Er ist zurück beim Vater. Das war sein Weg. Es kam trotzdem überraschend. Jesus ist weg. Die Jünger beten. Eigentlich müssten sie traurig sein. Ihr Herr und Meister ist weg. Aber die Jünger sind fröhlich. Sie gehen in den Tempel, um Gott zu loben und zu danken.

Die Jünger bleiben ohne Streit beisammen. Sie sind zusammen im Gebet und im Miteinander. Da hat sich das letzte Gebet von Jesus schon erfüllt:

"Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir, so sollen auch sie in uns sein." (21b)

Jesus schenkt seinen Jüngern und damit seiner ganzen Kirche durch alle Zeiten hindurch etwas Wunderbares. Einheit - Einheit der Christen untereinander und Einheit mit Gott, dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist. Einheit ist eine Gabe, die wir bekommen. In Johannes 3 heißt es: „Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben.(Joh 3,36)“ Durch den Glauben bekommen wir Anteil an Gottes Herrlichkeit. Alle sind wir Brüder und Schwestern, weil wir vom selben Vater geboren wurden! Wir gehören automatisch zu einer Familie. Wir tragen einen Namen. Wir sind Christen. Die Kirche Jesu gründet sich nicht auf menschliche Ansichten und Taten, sondern auf das, was Gott für uns getan hat.

Wo Einheit nicht ist!

Und nun kommt das große ABER! In unserer Welt machen wir doch mit Kirche auch ganz andere Erfahrungen. Da erlebe ich an vielen Stellen keine Einheit. Es gibt nun mal nicht nur eine Kirche. Es gibt ganz verschiedene Kirchen, die römisch-katholische, die orthodoxe Kirche, die Freikirchen. Jeder hat seine eigenen Erkenntnisse und irgendwann haben sich Christen voneinander getrennt und eine neue Kirche aufgemacht. Das entspricht nicht der Einheit, für die Jesus gebetet hat.

Es kann aber auch Einheit fehlen, wo Christen zu einer Kirche gehören. Und das erfahren wir in Sachsen ja gerade schmerzhaft. Christen gehören zu einer Kirche, vielleicht sogar zu einer Kirchgemeinde. Da wird unterschiedliches gedacht über das Verständnis der Bibel und über das Leben nach Gottes Geboten.

Was Einheit ist

Jesus betet: ¨Ich bitte aber nicht allein für sie, sondern auch für die, die durch ihr Wort an mich glauben werden, damit sie alle eins seien.(20-21a)¨

Jesus hat nicht nur für die Einheit seiner Jünger damals, sondern auch für die nachfolgenden Generationen gebetet. Dieses Gebet steht nun im Widerspruch zu meinen, zu unseren Erfahrungen. Mein erster Gedanke war nun zu überlegen: Was kann ich für die Einheit tun? Wie stellen wir Einheit her? Welche Strategien muss ich auswählen?… Ich, ich, ich, wir.

Mit etwas Abstand höre ich noch einmal genau auf Jesu Worte: „Ich bitte, (…) damit sie alle eins seien.“ Einheit herzustellen ist die Sache von Jesus. Er bittet den Vater. Er kümmert sich darum, dass Einheit entsteht. Er sorgt für die Einheit. Wenn ich so schnell davon spreche, wie ich Einheit herstellen kann, dann spricht da eher menschliche Überheblichkeit.  Dort, wo Einheit entsteht, ist sie ein Geschenk Gottes.

Der Vater liebt den Sohn

Jesus betet weiter und offenbart, was er unter Einheit versteht. „Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir, so sollen auch sie in uns sein …(21b)“ Die Einheit unter den Christen hat ihr Vorbild im Verhältnis von Jesus zu seinem Vater. Wenn es Jesus nicht sagen würde, ich käme nicht auf die Idee, das so zu sagen. Aber Jesus macht den Punkt ganz klar, wie er mit dem Vater lebt, das ist eine Liebesbeziehung. Der Vater liebt den Sohn und der Sohn liebt den Vater. Der Vater schenkt dem Sohn alles, was er hat. Er zeigt ihm seine Gedanken, seine Gefühle. Er gibt sich ganz zu erkennen. Und er übergibt Jesus den wichtigsten Auftrag, den er hat. Er sendet ihn in die  Welt, damit die Menschen den Vater kennen lernen. Er schickt sozusagen seinen Stellvertreter. An Jesus werden die Menschen erkennen, wie der unsichtbare Gott ist. Er gibt alles, was er hat, seinem Sohn mit. „Geh mein Sohn und zeige der Welt unsere Liebe!“

Der Sohn liebt den Vater

Und sein Sohn antwortet: „Und ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast, damit sie eins seien, wie wir eins sind, …(22)“

Der Sohn geht in die Welt. Jesus gibt uns das, was er vom Vater kennt, weiter. Der Sohn Gottes sagt von sich: „Der Sohn kann nichts von sich aus tun, sondern nur, was er den Vater tun sieht. (Joh 5,19)“ Jesus Christus ist gerade darin der Sohn Gottes, dass er genau das tut, was sein Vater will. Er redet zu den Menschen vom Vater. Jesus ehrt seinen Vater und sucht allein seinen Willen. Anders kann er gar nicht leben. Er geht den Weg des Vaters ganz freiwillig. Er gibt von der Herrlichkeit weiter, die er selber bekommen hat. Der Vater beschenkt den Sohn, der Sohn gibt vom Geschenk des Lebens weiter, damit die ganze Welt Gott erkennt. Diese Einheit ist ein Vorbild für die Kirche.

Einheit leben

Nun komme ich zurück zu meinen, zu unseren Erfahrungen mit Kirche. Es gibt Trennungen und Spaltungen in der Kirche.  Alle Spaltungen und Trennungen sind Schuld, die wir Christen auf uns geladen haben. Damit leben wir. Wir können aber auch nicht einfach so tun, als ob unterschiedliche Lehren der Kirche plötzlich egal sind. Das sind sie gewiss nicht.

Es gilt aber zu entdecken, dass alle Christen trotzdem ihre Einheit in der Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohn haben.

Jesus betet: „Gerechter Vater, die Welt kennt dich nicht; ich aber kenne dich und diese haben erkannt, dass du mich gesandt hast. Und ich habe ihnen deinen Namen kundgetan und werde ihn kundtun, damit die Liebe, mit der du mich liebst, in ihnen sei und ich in ihnen.(V.25-26)

Jesus kennt seinen Vater und aus seiner Beziehung zu ihm lernen wir, was Einheit bedeutet.

Jetzt kann man einwenden: Die Beziehung von Vater und Sohn kann für die Gemeinde gar kein Vorbild sein. Jesus ist doch selber Gott. Er hat eine ganz andere Beziehung zu seinem Vater. Ja, das stimmt. Natürlich hat er eine unmittelbare Beziehung zu ihm. Wie eben ein Vater zu seinem Sohn.

Wir können über den Vater und den Sohn auch etwas wissen. Durch sein heiliges Wort. Dort begegnen wir dem Sohn. Die Gemeinschaft miteinander und mit Gott bleibt dort, wo Jesus die Mitte ist. Überall, wo er aus dem Zentrum gerät, da rücken sofort menschliche Maßstäbe in den Blick. Das lähmt, das verhindert Gemeinschaft. Jesus hat immer die Ehre und Verherrlichung Gottes gesucht. Das war sein erklärtes Lebensziel. Er hat in allem, was er getan hat, nach dem Willen seines Vaters gefragt. Jesus wusste: Alle Herrlichkeit, die er hat, die hat er vom Vater empfangen. Wenn wir in allem, was wir als Gemeinde tun -  angefangen vom Kirchenputz, der Durchführung der Gemeindekreise, im Kindergarten, in den Gesprächen miteinander -  fragen: Ist Jesus unser Mittelpunkt? Ist die Erfüllung seines Willens und seine Ehre unser höchstes Ziel?, dann stärkt und belebt dies die Einheit mit Gott und miteinander.

Das ist Aufgabe von jedem von uns in der Gemeinde. Immer wieder unsere Mitte - Jesus - zu entdecken und zu glauben. Es kann störend und anstrengend sein, wenn wir immer wieder fragen: Geben wir damit Gott die Ehre? Aber das ist eine gute Frage zur Überprüfung unserer Motive.

Der Welt die Liebe Gottes zeigen

Dieses Ringen um die gemeinsame Mitte und die Auseinandersetzungen miteinander sind anstrengend, vielleicht manchmal sogar zum Verzweifeln. Jesus macht deutlich, dass die Einheit für die, die an ihn glauben, Realität ist.

Als Jesus auf dieser Welt lebte, zeigt er den Menschen, wie Gott ist. Mit seiner Himmelfahrt ist er schließlich zum Vater zurückgegangen. Und Gott schenkt seinen Nachfolgern Einheit. Mit einem Ziel: Die Welt soll Jesus als Retter und Erlöser erkennen (V.23.)

Die ersten Christen haben die Erfahrung intensiver Gemeinschaft und Einheit gemacht. Sie sind zusammen geblieben, hatten Jesus im Zentrum ihres Lebens und Glaubens. Für die Menschen um sie herum war es eine anziehende Gemeinschaft. Viele Menschen kamen zum Glauben und lernten Jesus als ihren Retter und Erlöser kennen. Sie haben dem Wort Jesu geglaubt, dass sie eins seien.

Abschließend halte ich zwei Einsichten fest:

Zum einen lohnt es sich, unsere Einheit in Gott zu erkennen und zu überlegen: Geben wir in allem was wir glauben und tun Gott die Ehre?

Zum anderen bleibt aber es die Sache von Jesus Christus, Einheit herzustellen. Er bittet den Vater. Er kümmert sich darum, dass Einheit entsteht.

Amen.

Chemnitz, Himmelfahrt 2015

Zum Hintergrund:

Drei Jahre hatte die sächsische Landeskirche intensiv über das Bibelverständnis diskutiert. Die Ergebnisse wurden im Februar 2015 in einem Anschlusbericht zusammengefasst. Auf der Frühjahrstagung der 27. Landessynode  in Dresden konnten sich die Synodalen auf eine gemeinsame Erklärung verständigen, die dem Ringen um die Einheit der sächsischen Landeskriche ausdruck verleiht.